Auf der Suche nach neuen Zielen

Tipps und Kniffe fürs Training, Insights vom Wettkampf und die eine oder andere Verletzung, darüber berichten unsere Shoprunners. Joëlle ist eine davon und teilt ihr Wissen, die Erfahrung und ihre stimmungsvollen Bilder rundum die langen Distanzen seit der ersten Stunde 2018. In ihrem emotionalen Text, wo sie die letzten vier Jahre revue passieren lässt, nimmt sie dich nun mit: auf Berggipfel, durch unwegsame emotionale Täler, bis zum vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere, dem Zürich Marathon im April dieses Jahres. Dort lief sie die 42.194 km in sagenhaften 2 h 47 min. Wie sie das gemacht hat? Lesen und eintauchen – in die langen Distanzen. Viel Spass dabei.

Kilometer sammeln für den Marathon – das Trainingslager im Engadin

 

Keine vier Jahre ist es her, als ich mir 2018 zwei meiner Lebensträume erfüllt hatte. Innerhalb von nur 4 Wochen habe ich zuerst meinen ersten Marathon in Amsterdam unter 3 Stunden beendet und stand dann 4 Wochen später, gemeinsam mit meiner Mama, auf dem Kilimanjaro, dem Dach von Afrika. Die Freude war unbeschreiblich und das Erlebnis, das war mir damals klar, unvergesslich und einmalig. Doch: wie weiter? Welche Lebensträume habe ich noch? Was will ich erreichen? Es war schwierig, für mich neue Ziele zu definieren. Die Motivation, nein, die hat mir nie gefehlt. Da ich mich mit meiner Zeit für den New York Marathon qualifiziert habe, wollte ich 2019 auch daran teilnehmen. Definitiv war die Teilnahme am grössten Marathon weltweit ein weiterer Lebenstraum, den ich mir erfüllen wollte. Dabei ging es mir nie um eine möglichst gute Zeit, sondern vielmehr darum, die Stimmung und Atmosphäre in New York geniessen zu können. Auch dieses Erlebnis war hochemotional und ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich an die Momente vor und während dem Lauf zurückdenke. Nach diesem Lauf hat mich das Lauffieber wieder richtig gepackt. Für mich selbst hatte ich drei Ziele definiert, an denen ich mich orientieren wollte. Ob ich sie wirklich erreichen konnte - ungewiss. Bei den 10 km lag meine PB damals bei 36:09. Ich bin zwar lange kein 10km-Rennen gelaufen, aber eine Zeit unter 36 min war für mich ein realistisches Ziel. Den Halbmarathon unter 1 h 20min zu laufen, das wünschte ich mir schon lange, aber geklappt hat es leider nie. Den Marathon unter 2 h 50 min zu beenden schien mir ein Wahnsinns-Ziel, aber dennoch nicht unrealistisch in den nächsten paar Jahren. 

 

Joëlle sucht die Herausforderung nicht nur auf den langen Strecken – im November 2018 erklimmt sie gemeinsam mit ihrer Mama den Gipfel des Kilimanjaro

 

Voller Tatendrang habe ich mich gleich nach New York entschieden, einen Marathon im Frühling in Prag zu laufen. Was danach geschah, ist altbekannt. Pandemie. Keine Wettkämpfe. Und schon gar keine Massenveranstaltungen wie Städte-Marathons.  
Glücklicherweise hatte ich meine Bahnkarriere nie als «offiziell» für beendet erklärt. Es machte für mich einfach keinen Sinn, meine Laufschuhe an den Nagel zu hängen. Wieso sollte ich etwas für beendet erklären, wenn ich es doch so fest liebe? Auf jeden Fall war ich immer noch im Besitz einer Lizenz des Verbandes und so hatte ich das Glück, dass ich während der Pandemie wenigstens Bahnrennen über 3000 m und 5000 m absolvieren konnte. Als der Verband dann gar eine Schweizermeisterschaft über 10 km und über den Halbmarathon organisierte, war für mich klar, dass ich diese Chancen nutzen möchte. Und da war sie auch, die 10 km-Zeit unter 36 min. Wow. Ich hatte nicht damit gerechnet, hatte keinerlei Druck und genoss es einfach, endlich wieder ein Strassenrennen laufen zu können. Ein paar Wochen später lief ich zwar eine Bestzeit im Halbmarathon (1h 20min 19s), mein grosses Ziel verfehlte ich jedoch. Es war nicht mein Tag. Es sollte fast 1.5 Jahre dauern, bis mein Tag endlich kommen sollte. 

 

«Da wurde mir klar: eigentlich habe ich nicht für den Halbmarathon trainiert, schnelle Einheiten habe ich kaum absolviert! Da schien für den Zürich Marathon einiges drin zu liegen…»

Joëlle

Ende 2021 hatte ich mich dann entschieden, den Zürich Marathon zu laufen. Gleichzeitig habe ich meinen Job, wo ich 10 Jahre lang gearbeitet habe, gekündigt und im Januar 2022 eine neue Herausforderung angenommen. Schwierig und holprig war der Start ins Marathontraining. Kleine Verletzungen hatten mich Ende Jahr ausgebremst, ein Eisenmangel kam im Februar hinzu und auch der neue Job kostete mich Energie. Ohne Leistungsdruck habe ich trainiert, meine Kilometer vor allem am Wochenende abgespult. Einige schnelle Einheiten musste ich mit Dauerläufen ersetzen, versuchte mich dadurch nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Im März verbrachte ich meine Ferien dann in den USA und lief dort den New York City Halbmarathon. Ich wusste, wie coupiert dieser Halbmarathon ist und wollte mich einfach daran freuen, wieder zurück an dem Ort zu sein, wo die Stimmung 2019 so unglaublich großartig war. Im Hinterkopf hatte ich eine Zeit um die 1h 22 als guter Test vor dem Zürich Marathon. Entsprechend verhalten ging ich das Rennen an. Rund nach der Hälfte des Rennens waren die meisten Höhenmeter überstanden und die Atmosphäre in Manhatten liess mich mein Tempo stetig erhöhen. Als ich den letzten Hügel zum Ziel hochrannte, konnte ich es kaum glauben: 1:19.03! Wow, was für ein Tag, was für eine Stimmung, was für ein Rennen! Da wurde mir klar: eigentlich habe ich nicht für den Halbmarathon trainiert, schnelle Einheiten habe ich kaum absolviert! Da schien für den Zürich Marathon einiges drin zu liegen…

 

Schon mal warm werden – die Besichtigung des Ziels vom New York Halbmarathon im März 2022

Geschafft – im Ziel mit Laufkollege Stephan und neuer PB

 

Und so kam es wie es im Traum meistens kommt: Der perfekte Tag, das passende Wetter und gefühlt das Rennen meines Lebens! Auch im Marathon selbst hielt ich an meiner Strategie fest und startete verhalten ins Rennen, liess einige Frauen ziehen. Ich wurde immer schneller, überholte nur noch und lief so schnell ich konnte zurück in die Innenstadt, wo alle meine Freunde und Familie auf mich wartete! Ich konnte es kaum glauben, da stand doch tatsächlich 2h47min auf der Zieltafel?? Freudentränen und Umarmungen folgten im Ziel und auch etwas Ratlosigkeit: Wie habe ich das gemacht? Es spielt keine Rolle! 

Mittlerweile sind einige Wochen vergangen und noch immer werde ich emotional, wenn ich an den Zieleinlauf in Zürich zurückdenke. Mittlerweile hat sich die Freude in etwas Stolz umgewandelt. Mir wurde aber auch bewusst, dass die Ziele, die vor 4 Jahren so fern schienen, plötzlich alle erreicht sind. Ich bekunde Mühe, mir aktuell neue Ziele zu suchen oder zu setzen. Es ist vielleicht auch gar nicht notwendig, denn eines ist sicher: Ich liebe das Laufen und jeder Tag, wo ich laufe, ist ein guter Tag. Im Moment geniesse ich es einfach, zu laufen, Intervalle zu absolvieren, wenn mir danach ist und am einen oder anderen Volkslauf am Start zu stehen. 

 

«All meinen Trainern, die mich bisher in meiner Laufkarriere begleitet haben, verdanke ich, dass ich das Laufen immer noch liebe.»

Joëlle

 

Mein ehemaliger Trainer hat vor einigen Tagen zu mir gesagt: «So viel habe ich wohl nicht falsch gemacht, wenn meine ehemaligen Athletinnen das Laufen immer noch so lieben!» Ja, da hast du recht Ruedi! All meinen Trainern, die mich bisher in meiner Laufkarriere begleitet haben, verdanke ich, dass ich das Laufen immer noch liebe: mein Vater (TV Hubersdorf), Ueli Schneeberger (STV Attiswil), Ruedi und Gian-Marco Meier (LC Regensdorf)! Den grössten Anteil haben aber wahrscheinlich die unzähligen Stunden, die ich in Trainings oder Trainingslagern mit meinen Freunden im LC Regensdorf aber auch in Gregi Boog`s Schlottermilch Runners verbracht habe! Das gemeinsame Leiden und Freuen wie auch alle schönen Erlebnisse tragen dazu bei, dass ich wohl meine Schuhe nie an einen Nagel hängen werde! Vielen Dank euch allen! 

 

Der Marathon so viel mehr als Laufen – Joëlle gemeinsam mit ihren Trainingspartnerinnen des LC Regensdorf


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Diese Dinge müssen für das Trainingslager in deinen Koffer

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Die Carbon-Frage im Marathon